14. September 2024
Das Opfer-Täter-System: „Was ist das?“
Das Opfer-Täter-System beschreibt eine ungesunde Beziehung zwischen zwei Personen, bei der eine Person als sogenannter „Täter“ und die andere Person als sogenanntes „Opfer“ bezeichnet wird.
In diesem System gibt es meist ein ständiges Hin und Her von Schuldzuweisungen und Verletzungen.
Wichtig zu verstehen ist, dass beide Seiten zur Aufrechterhaltung dieses Systems beitragen und beide die Möglichkeit haben, aus dem Täter-Opfer-System auszubrechen und das auch, wenn der andere seine „negative“ Rolle beibehalten möchte!
Zu diesem System kann es überall kommen, auf der Arbeit zwischen Kollegen, dem Chef und seinen Angestellten oder Arbeitern, in der Familie, im Freundes- und Bekanntenkreis etc.
Ein Beispiel: Schwiegermutter Maria und ihre Schwiegertochter Julia:
Ausgangssituation:
Die Schwiegermutter ist von ihrer Schwiegertochter Julia nicht besonders angetan. Bei jeder Gelegenheit kritisiert sie sie vor anderen: „Julia kann nicht richtig kochen!“, „Der Garten sieht bei ihr immer unordentlich aus!“ oder „Sie kümmert sich nicht richtig um meinen Sohn!“
Diese Kritik äußert Maria nicht direkt an Julia, sondern vor der Familie und bei den Nachbarn und Bekannten.
Opferrolle der Schwiegertochter:
Julia fühlt sich durch die ständige Kritik bei Dritten gedemütigt und wertlos und verletzt.
Sie zieht sich zurück und versucht den Kontakt mit ihrer Schwiegermutter zu vermeiden.
In ihrer Opferrolle fühlt sich Julia machtlos und ungerecht behandelt, aber sie traut sich nicht sich zu wehren, aus Angst die Situation noch zu verschlimmern.
Täterrolle der Schwiegermutter:
Die Schwiegermutter sieht sich selbst nicht als Täterin.
Sie ist der Meinung, dass sie nur „die Wahrheit sagt“ und „es nur gut meint“. Trotzdem verletzt ihre ständige Kritik Julia tief und schafft ein negatives Umfeld.
Sie nutzt ihre Position in der Familie, um Julia klein zu machen und dadurch ihre eigene Rolle zu stärken.
Rollenwechsel:
Nach einer Weile hält Julia die Situation gar nicht mehr aus und beginnt passiv-aggressiv auf Marias Verhalten zu reagieren:
Sie ignoriert Marias Anrufe komplett, macht absichtlich Dinge, von denen sie weiß, dass sie Maria ärgern und spricht nun auch abwertend über Maria, wenn sie Familienmitglieder oder Bekannte trifft.
Durch dieses Verhalten übernimmt jetzt Julia die Rolle der Täterin. Sie hat das Gefühl, sich endlich wehren zu können, aber anstatt die Situation zu verbessern, vertieft sie den Konflikt nur weiter.
Maria ihrerseits fühlt sich jetzt als Opfer, da sie natürlich schnell bemerkt, dass Julia jetzt alles daransetzt ihr eins auszuwischen.
So wechseln beide jetzt immer wieder die Rollen, da jede der beiden nun mal Täter und mal Opfer ist.
Gemeinsame Verantwortung und Ausbrechen aus dem System:
Beide Frauen tragen zur Aufrechterhaltung des ungesunden Täter-Opfer-Systems bei:
- Marias Verantwortung:
Sie sollte NICHT bei Dritten über ihre Schwiegertochter lästern und sie somit bloßstellen, da das extrem verletzend ist.
Sie sollte versuchen ihre Anliegen in einem respektvollen Gespräch mit Julia zu äußern und Verständnis dafür zu haben, dass ihre Schwiegertochter, die berufstätig ist vielleicht weder die Zeit noch die Lust hat ihren Haushalt so zu führen, wie es ihre Schwiegermutter tut. - Julias Verantwortung:
Anstatt auf passive Aggressionen oder Vergeltung zurückzugreifen, könnte Julia versuchen, das Problem direkt anzusprechen.
Sie könnte Maria in einem ruhigen Moment sagen: „Ich fühle mich verletzt, wenn du mich vor oder bei anderen kritisierst. Können wir das in Zukunft anders lösen?“
Um aus diesem ungesunden Kreislauf auszubrechen, müssen beide Frauen als erstes ihre Rollen im wechselnden Opfer-Täter-System erkennen und bereit sein, Veränderungen vorzunehmen:
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- Direkte und respektvolle Kommunikation: Beide sollten offen über ihre Gefühle sprechen, ohne die andere Person zu beschuldigen oder anzugreifen.
- Grenzen setzen: Julia könnte klare Grenzen setzen und Marias Verhalten nicht länger hinnehmen. Gleichzeitig könnte Maria lernen, diese Grenzen zu respektieren.
- Empathie entwickeln: Beide sollten versuchen, die Perspektive des anderen zu verstehen und sich in ihre Lage zu versetzen.
Natürlich ist es auch möglich das Opfer-Täter-System zu verlassen, wenn nur eine der beiden Beteiligten einsichtig ist.
Gerade dann ist aber oft professionelle Hilfe von Nöten, da das Ganze sich dann etwas komplexer gestaltet.
Bei Fragen könnt ihr euch natürlich jederzeit gerne bei mir melden!
Frank